Kernkraftwerk Leibstadt

Zukunft

Kernspaltung

Die Kerntechnik ist noch relativ jung: Die ersten Kernkraftwerke gingen vor gut 50 Jahren ans Netz. Seither wurde die technische Entwicklung der Kernenergie stark vorangetrieben. Fachleute sprechen von verschiedenen Generationen  von Kernkraftwerken.

Kernenergie für die Welt von übermorgen

Viele der neuen oder heute im Bau befindlichen Kernkraftwerke gehören der dritten Generation an. Diese fortgeschrittenen Reaktortypen sind noch sicherer als die heute betriebenen Anlagen. In vielen Ländern werden sie in den kommenden Jahren ältere Kernkraftwerke ablösen und bestehende Kraftwerkparks verstärken. Vor allem asiatische Länder mit stark zunehmendem Energiebedarf setzen auch aus Umweltschutzgründen auf Kernenergie für ihre zukünftige Stromversorgung. 

Aber bereits heute forschen Wissenschaftler an Kernkraftwerken der vierten Generation für die Welt von übermorgen. Zusammen mit den erneuerbaren Energien bilden diese völlig neuartigen Kraftwerke den Schlüssel zur Sicherung der Lebensgrundlagen der Menschheit in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts.

Generation vier: neue Wege bei der Kernspaltung

Bei ganzheitlicher Betrachtung aller heute zur Verfügung stehenden Energiequellen zeigt sich: Eine Stromversorgung mit Einbezug der Kernenergie ist umweltschonender und klimafreundlicher als ohne, heute wie in Zukunft. Das belegen auch die von Wissenschaftlern erarbeiteten Ökobilanzen.

Eine Reihe von Industrieländern, darunter auch die Schweiz, hat sich deshalb auf Initiative der USA zum «Generation IV International Forum» (GIF) zusammengeschlossen (auch Randspalte rechts). Das Ziel des Forums ist es, für die Zeit nach 2030/40 grundlegend neue Reaktoren und Kernbrennstoffe zu entwickeln, die

  • wie die Generation drei höchste Sicherheit und Wirtschaftlichkeit bieten;
  • den Uranverbrauch drastisch reduzieren;
  • die Menge und Lebensdauer des radioaktiven Abfalls erheblich vermindern;
  • den Missbrauch der friedlichen Kerntechnik für Kernwaffen noch weiter erschweren.

6 Reaktorsysteme mit Potential

Aus über 130 Vorschlägen aus der ganzen Welt haben die Fachleute des GIF sechs innovative Reaktorsysteme ausgewählt, die das Potenzial haben, diese Ziele zu erreichen:

  • Schneller, gasgekühlter Reaktor
    Merkmale: Helium als Kühlmittel, 850 Grad Betriebstemperatur, div. Brennstoffoptionen. Einheiten von 200 bis 1200 Megawatt elektrisch möglich.
    Vorteil: hohe Effizienz, starke Abfallreduktion, hohe Brennstoffausnutzung.
  • Höchsttemperaturreaktor
    Merkmale: Helium als Kühlmittel, Betriebstemperatur über 900 Grad, Brennstoff Uran und Thorium in Form von Kugeln mit Graphithülle als Moderator. Einheiten von 250 Megawatt elektrisch vorgesehen.
    Vorteil: hoher Wirkungsgrad (50 Prozent), ideale Prozesswärmeerzeugung, Wasserstoffproduktion möglich, sehr hohe passive Sicherheit (Kernschmelze unmöglich).
  • Überkritischer Leichtwasserreaktor
    Merkmale: Kühlmittel Wasser in überkritischem Zustand (über 374 Grad und 22,1 MPa), Betriebstemperatur 500-600 Grad. Einheiten von 1500 Megawatt elektrisch vorgesehen.
    Vorteile: Wirkungsgrad gegen 45 Prozent, hohe Wirtschaftlichkeit, thermisches oder schnelles Neutronenspektrum möglich.
  • Schneller, natriumgekühlter Reaktor
    Merkmale: Natrium als Kühlmittel. Metallischer Brennstoff oder MOX. Modulare Kleineinheiten ab 50 bis 1500 Megawatt elektrisch möglich.
    Vorteil: hohe thermische Effizienz, Aktinidenverbrennung, effiziente Spaltmaterialproduktion.
  • Flüssigsalzreaktor
    Merkmale: flüssige Fluoride von Uran und Plutonium als Kühlmittel. Geringer Druck. Einheiten von 1000 Megawatt elektrisch vorgesehen.
    Vorteil: Abfallminimierung, einfache Brennstoffproduktion, hohe Proliferationsresistenz durch geringes Spaltmaterialinventar.

Bis zum kommerziellen Einsatz der sechs innovativen Reaktorsysteme der vierten Generation ist bei allen Systemen aber noch einiges an Forschung nötig. 

Beteiligt am GIF sind zurzeit 13 Partner: Argentinien, Brasilien, China, Frankreich, Grossbritannien, Japan, Kanada, Russland, die Schweiz, Südafrika, Südkorea, die USA und die Europäische Atomgemeinschaft Euratom. Die Schweiz trägt durch das am Paul Scherrer Institut (PSI) angesiedelte Projekt FAST zum System SFR (natriumgekühlter schneller Reaktor) bei. Dieses Projekt befasst sich mit der Computersimulation der wichtigsten GIF-Systeme mit schnellen Neutronenspektren in Kombination mit offenen und geschlossenen Brennstoffkreisläufen. Die Aufgabe besteht darin, die verschiedenen Systeme zu vergleichen und unter den Gesichtspunkten Sicherheit, Ressourcenmanagement und Abfallreduzierung zu optimieren. Die Aktivitäten sind in verschiedene Programme von EURATOM und IAEO integriert. Ebenso vertreten ist die Schweiz mit dem PSI in den Systemen VHTR (Höchsttemperaturreaktor) und GFR (schneller, gasgekühlter Reaktor). 

Laufende Weiterentwicklung

Die Kerntechnik entwickelt sich laufend weiter. Während heute die dritte Generation von Kernkraftwerken gebaut wird, arbeiten Wissenschaftler aus der ganzen Welt im Generation IV International Forum gemeinsam an den Reaktorsystemen der Zukunft. 

Energietechnik für die Zukunft

Forschungsreaktor Opal in Australien. (Bild: Ansto)


Mehr Brennstoff erbrüten als verbrauchen

Fünf der vom GIF ausgewählten sechs Reaktorsysteme sind in der Lage, das nur schwer spaltbare Uran-238 in leicht spaltbares Plutonium umzuwandeln. Die Fachleute sprechen hierbei von «brüten». Solche Brutreaktoren oder Schnellen Brüter haben den grossen Vorteil, dass sie bei der Energieproduktion mehr nutzbaren Kernbrennstoff erzeugen, als sie selber verbrauchen. Das beim Betrieb «erbrütete» überschüssige Plutonium lässt sich anschliessend als Kernbrennstoff in herkömmlichen Kernkraftwerken zur Stromproduktion verwenden. Damit wird der Energieinhalt von Natururan, das zu über 99 Prozent aus Uran-238 besteht, sehr viel besser ausgenutzt als heute.

Auf diese Weise reichen die Uranreserven der Erde beim heutigen Verbrauch für Zehntausende von Jahren. Zudem erzeugen Schnelle Brüter weniger radioaktive Abfälle als herkömmliche Kernkraftwerke. Diese Abfälle haben darüber hinaus den Vorteil, dass ihre Radioaktivität vergleichsweise rasch abklingt. Schnelle Brüter gibt es seit Jahrzehnten. Sie haben ihre grosstechnische Machbarkeit nachgewiesen, sind aber noch nicht kommerziell einsetzbar.

Wasserstoff aus Kernenergie

Unter den vom GIF geförderten Reaktorsystemen ist der Höchsttemperatur-Reaktor besonders interessant. Neben Strom erzeugt er auch sehr viel Wärme, die für die thermochemische Produktion von Wasserstoff nutzbar ist.  

Wasserstoff an sich ist keine Energiequelle, sondern muss erst unter beträchtlichem Energieeinsatz, wie beispielsweise mit der Prozesswärme des Höchsttemperatur-Reaktors, aus Wasser oder Erdgas gewonnen werden. Der Vorteil: Bei der Verbrennung von Wasserstoff – beispielsweise für den Antrieb von Automotoren oder in einer Hausheizung – entsteht kein CO2, sondern wiederum nur Wasser.

Im Wasserstoff steckt ein grosses Potenzial für eine künftige Energiewirtschaft, da er – anders als Strom – lagerbar ist. Ein Höchsttemperatur-Reaktor von der Grösse des Kernkraftwerks Leibstadt könnte zusätzlich zur Stromproduktion in einem Jahr so viel Wasserstoff liefern, dass über eine Million Brennstoffzellenautos damit je rund 15 000 Kilometer fahren könnten. Offen ist heute, ob sich solche Wasserstoffsysteme durchsetzen werden oder eher Autos mit Batterien, die direkt mit Strom aufgeladen werden.

Forschungsplattform der EU

Vor diesem Hintergrund hat die EU am 21. September 2007 die «Sustainable Nuclear Energy Technology Platform» lanciert (siehe rechte Randspalte). Die SNETP setzt sich über ein langfristiges Forschungs- und Entwicklungsprogramm für die nachhaltige Entwicklung der Kernenergie ein sowie für die Bewahrung und Stärkung der europäischen Führungsrolle in den Ingenieur- und Nuklearwissenschaften. Zudem will die SNETP Beiträge zu einer umweltfreundlichen und nachhaltigen Wirtschaft leisten und unterstützt daher auch die Produktion von synthetischen Brennstoffen und Wasserstoff auf der Basis treibhausgasfreier Quellen.

Die dazu vorgeschlagenen Forschungsthemen umfassen

  • die weitere Optimierung der heutigen Kernkraftwerke;
  • die Entwicklung fortgeschrittener Recyclingtechnologien zur Minimierung der radioaktiven Abfälle;
  • die Inbetriebnahme zweier Schneller Brüter unterschiedlichen Typs bis 2020 sowie eines Hochtemperaturreaktors, mit dem neben Strom auch alternative Treibstoffe produziert werden können.

Technik im industriellen Massstab

Brüter bei Jekaterinburg, Russland. (Bild: Rosenergoatom) 

Kernfusion

Die Kernfusion ist die Energiequelle der Sonne und der Sterne. Gelingt es, sie auf der Erde zu nutzen, steht der Menschheit eine praktisch unerschöpfliche Energiequelle zur Verfügung, die weder Umwelt noch Klima belastet. Die Kernfusion hat das Potenzial, zur Schlüsseltechnologie der nachhaltigen Entwicklung der Menschheit zu werden. Dahin ist es aber noch ein weiter Weg.

«Sachplan» des Bundes für Standortwahl

In herkömmlichen Kernkraftwerken und in Brüterkraftwerken werden sehr schwere Atomkerne gespalten, um Energie zu gewinnen. Anders bei der Kernfusion: Hier werden sehr leichte Atomkerne zu schwereren Atomkernen verschmolzen («fusioniert»), wobei noch mehr Energie freigesetzt wird. Dieser Vorgang ist die Energiequelle unserer Sonne und der Sterne. Dort wird Wasserstoff – das leichteste Element im Universum – zum Edelgas Helium verschmolzen. Bei dieser Kernfusion wird aus einem einzigen Gramm Wasserstoff etwa die gleiche Menge Energie freigesetzt wie bei der Verbrennung von acht Tonnen Erdöl oder elf Tonnen Kohle.

Ein wesentlicher Vorteil der Kernfusion liegt darin, dass der für den Betrieb eines Fusionskraftwerks nötige Rohstoff Lithium (der Ausgangsstoff für Tritium) auf der Erde in nahezu unbegrenzter Menge vorhanden ist. Zudem entstehen beim Fusionsprozess keine radioaktiven Brennstoffabfälle – das Fusionsprodukt Helium ist weder radioaktiv noch sonst gesundheitsschädlich. Beim Betrieb eines Fusionskraftwerks werden einzig die technischen Installationen im Reaktorinnenraum radioaktiv. Ihre Radioaktivität klingt jedoch innert hundert Jahren ab. Geologische Tiefenlager wären nicht nötig. 

Eine Option für die Zukunft

Bevor Kernfusionskraftwerke gebaut werden können, müssen die Wissenschaftler und Ingenieure noch gewaltige technische Herausforderungen meistern. Als nächster Schritt auf dieses Ziel hin wird in den kommenden Jahren in Cadarache in Südfrankreich der internationale thermonukleare Versuchsreaktor ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) gebaut. Mit dem ITER-Projekt, an dem sich Wissenschaftler aus aller Welt beteiligen, soll die wissenschaftliche und technische Machbarkeit der Fusion zur Energieerzeugung gezeigt werden. «ITER» ist auch ein lateinisches Wort und bedeutet «der Weg». 

Extrem heisses Fusionsfeuer

Die Fusionsreaktion auf der Erde in einem Kraftwerk auszulösen, stellt die Wissenschaftler und Ingenieure vor grosse Herausforderungen. Denn das Fusionsfeuer zündet erst bei extrem hohen Temperaturen von über 100 Millionen Grad. Materialien für ein Reaktorgefäss, die diese Temperaturen aushalten, gibt es jedoch nicht. Der Kernbrennstoff muss daher frei in einem Magnetfeld im Reaktorraum schweben und darf die Wände nicht berühren.

Unsere Sonne

Ein riesiger Fusionsreaktor. (Bild: NASA)

Der ITER Reaktor

Schema des geplanten International Thermonuclear Experimental Reactor ITER.